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Wie alles begann: von Haltung und Selbstbestimmung

Bettina Orlando und Birga Berndsen im Gespräch über Themen, die nicht nur zum Lebensende bewegen: Selbstbestimmung, Haltung sowie das Spannungsfeld zwischen Autonomie und Fürsorge.

Birga Berndsen: Liebe Frau Orlando, zu unserem Vorgespräch der Veranstaltung „Am Ende zählt der Mensch“ zum assistierten Suizid saß ich im mobile office in meinem Bulli. Meine Familie musste sich draußen amüsieren, damit ich in Ruhe sprechen konnte. Die mussten ganzschön lange warten…

Bettina Orlando: Ich erinnere mich. Sie hatten sich alle auf den gemeinsamen Abend um die Feuerschale gefreut. Als wir unser Gespräch beendeten, regnete es dann in Strömen. Wenn es um die Hospizarbeit geht, komme ich schnell ins Reden, ich brenne dafür. Die Fragestellungen, Perspektiven, Herausforderungen und Chancen, die sich im Umgang mit Menschen zum Lebensende zeigen, sind unendlich vielfältig. Das haben wir ja dann auch schnell in unserem Gespräch gemerkt, das Tod und Sterben uns alle und in vielen Bereichen unseres Seins und Miteinanders betrifft. Dieses Bewusstsein kann das Leben sehr bereichern (lacht). Sie hatten sicher auch im Regen den Abend mit Ihren Lieben noch genießen können, auch wenn das Feuer in der Schale nicht mehr so lodernd brannte. So geht es metaphorisch gesprochen oft auch unseren Gästen.

BB: Was mich überrascht hat, als ich das Hospiz zum ersten Mal besuchte, ist die positive Atmosphäre, das gelacht wird, dass es auch lustige Geschichten gibt….

BO: Wir lachen sogar sehr viel bei unserer Arbeit. Miteinander, mit unseren Gästen und Besuchern. Das Leben hört erst ganz zum Schluss auf und bis dahin gibt es oft auch viel zu lachen. Geschichten, die unsere Gäste erzählen, Erinnerungen, die die Familien teilen, die ganz alltägliche Situationskomik, die auch im Hospiz lebt. Darum geht es ja. Das Leben bis zum letzten Augenblick lebenswert zu gestalten. Das Lachen gehört auf jeden Fall dazu, wobei da natürlich jede und jeder eigene Vorstellungen davon hat, was das Leben lebenswert macht, oder worüber sie oder er lachen kann.

BB: Das ist ein guter Stichpunkt; die eigenen Vorstellungen eines Jeden. Auftakt unseres Gesprächs waren die Vereinbarkeit von Autonomie und Selbstbestimmung der Hospizgäste in Verbindung mit dem Thema des assistierten Suizids. In unserer Podiumsdiskussion, die wir ja aufgezeichnet haben, haben wir ausführlich besprochen, dass ein assistierter Suizid mit dem Hospizgedanken nicht vereinbar ist. Die Autonomie der Gäste, die Wahrung der Selbstbestimmung, berührt ganz viele Bereiche in der Begleitung und steht oft in einem Spannungsverhältnis zur Fürsorge. Das fand ich sehr spannend in unserem Vorgespräch.

BO: In dem Spannungsfeld zwischen Autonomie und Fürsorge bewegt sich ein Großteil der Hospizarbeit. In der Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland steht, dass jeder Mensch ein Recht
auf Sterben unter würdigen Bedingungen hat. Es gibt viele Aspekte dessen, was würdige Bedingungen sind, auf die wir uns alle einigen können. Ein sauberes Bett, ausreichend Nahrung, die Erfüllung von Grundbedürfnissen, aber auch die liebevolle Zuwendung und Pflege. Alles, was darüber hinaus geht, ist sehr individuell. Nicht nur die Gäste haben ihre Vorstellungen und Wünsche, sondern auch wir, die Betreuenden haben unsere Werte und Vorstellungen. Diese müssen wir immer wieder reflektieren, um unseren Aufgaben in der Versorgung aber auch uns selber und unseren Bedürfnissen gerecht zu werden.
Die Gäste auf ihrem Weg bestmöglich zu begleiten, ohne zu werten, ohne unsere eigenen Vorstellungen zum Maßstab zu machen, aber gleichzeitig auch die Grenzen wahrzunehmen und zu wahren, setzt ein hohes Maß an Bewusstheit voraus.
Eine Haltung zu haben und zu entwickeln, eine hospizliche Haltung, das ist Arbeit und es gehört auch dazu, seine persönliche Haltung zum Thema Tod und Sterben zu klären.

BB: Ich sehe schon, wie bei unserem ersten Gespräch, die Spannbreite und Vielfalt des Themas. Und wieder regnet es, nebenbei bemerkt…
An welchen konkreten Beispielen können Sie verdeutlichen, wie wichtig es ist, eine Haltung zu haben, um einen Gast begleiten zu können?

BO: Da fallen mir viele Beispiele ein. Jeder Mensch definiert Leiden anders und hat eine unterschiedlich hohe Leidensfähigkeit. Schwierig wird die Begleitung häufig dann, wenn ein Gast beschließt, dass er das Leben so nicht mehr aushält. Um eine palliative Sedierung bittet oder das Essen und Trinken einstellen möchte – wir, die Betreuenden, aber das Gefühl haben, es wäre dafür noch zu früh. Es gibt aber auch den umgekehrten Fall. Wir nehmen wahr, was für uns ein unerträgliches Leid darstellen würde, und der Gast erduldet es und lehnt vielleicht sogar lindernde Medikamente ab. Nicht helfen zu können, wenn wir für uns Hilfebedarf sehen, das macht hilflos. Dies sind alles Situationen, in denen man sich seiner eigenen Haltung sehr bewusst sein muss, um den Gast auf seinem Weg gut begleiten zu können. Oder mit den Worten von Franziska Giffey: „Haltung heißt: Ich stehe für etwas. In dem Wort Haltung steckt das Wort Halt. Wer selbst Halt hat, wer sich gehalten und getragen fühlt, tut sich leichter damit, eine Haltung zu finden und Halt zu geben“

BB: Wieder ein Thema, dessen Betrachtung für das ganze Leben wertvoll ist. Für heute müssen wir schließen. Vielleicht vertiefen wir diese Begleitung von Menschen, die einen anderen Weg gehen, als den, den wir für richtig halten, in unserem nächsten Gespräch?

BO: Ja, das klingt gut. Bis dahin alles Gute und Tage voller Leben.

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