Unser Blog

Von Ritualen, Halt und Trost

Unser Blog: Bettina Orlando, Lena von Holdt und Birga Berndsen im Gespräch

Birga Berndsen: Hallo, liebe Frau Orlando, liebe Frau von Holdt. Heute begehen wir zu dritt eine kleine Adventsstunde. Wir haben eine Kerze angezündet, trinken Weihnachtstee. Ich liebe diese Zeit. Die Düfte, Lieder, Rituale, die ganze Atmosphäre geben mir das wärmende, geborgene Gefühl meiner Kindheit. Wie erleben Sie, Ihre Gäste und Angehörigen diese Zeit?

Bettina Orlando: Auch für mich ist die Advents- und Weihnachtszeit, wie für die meisten christlich geprägten Menschen, eine ganz besondere. (UMBRUCH, <Mehr lesen>)

Lena von Holdt: Ich liebe die Rituale, wie vielen anderen Menschen auch geben sie mir Halt. Gerade hier im Hospiz können sie an glückliche Zeiten erinnern. Und so individuell wie die Erinnerungen sind, so individuell sind die Rituale. Wir gestalten die Atmosphäre hier im Hospiz ganz besonders schön. Und wir versuchen, den Gästen und ihren Angehörigen ihre eigenen Rituale zu ermöglichen, weniger eigene anzubieten. An den Weihnachtstagen selbst findet wenig Geplantes statt, das überlastet die Gäste oft. Denn unsere Vorstellungen sind ja nicht unbedingt die der anderen. Menschen können hier ihr Weihnachtsessen kochen oder ihren Adventskuchen mitbringen, ihre eigene Geschichte vorlesen – wir tun alles dafür, eigene Wünsche zu realisieren.

BB: Für die Gäste, die Heiligabend nicht nach Hause können, ist es bestimmt eine Herausforderung, Weihnachten an einem anderen Ort als dem gewohnten zu verbringen?

BO: Ja, das ist oft so. Diese Zeit steckt voller Rituale und voller Ansprüche und Erwartungen, es wird so viel an ihr festgemacht. Menschen meinen, dass diese Zeit, wenn sie sie nicht feiern können wie immer, ganz besonders traurig wird. Weil es nicht sein kann wie immer, scheint gar nichts mehr zu gehen. Insofern können Rituale auch eine Zwangsjacke sein. Mitunter ist das ja auch außerhalb des Hospizes so: Keiner hat Lust auf ein Ritual, aber es muss vermeintlich sein und wird durchgezogen. Wir ermuntern Gäste und Angehörige, nicht starr an Vergangenem festzuhalten, sondern das Fest im Rahmen des möglichen zu gestalten.

BB: Was haben Sie in dieser Hinsicht zum Beispiel erlebt?

BO: Eine Geschichte, die mir auf ewig im Herzen sein wird: Wir hatten einen Gast, dem es relativ gut ging. Er hatte eine recht große Familie, alle wollten zusammen im Hospiz mit ihrem traditionellen Weihnachtsessen inklusive Torte feiern. Dann kam Heiligabend und unserem Gast ging es ad hoc sehr schlecht. Die Trauer und Enttäuschung, auch seine, weil er fürchtete, die Familie zu enttäuschen, war groß. Es saßen dann alle bei Kerzen und leiser Musik in seinem Zimmer, um das Bett herum. Dann kam Caspar, mein kleiner Hund hereingerannt und sprang auf das Bett. Und er sagte: „Und Caspi ist auch da, wie schön ist es hier.“ Es war ein so friedlicher Abend, es wirkte überhaupt nicht traurig. Es war kein verpasstes Fest. Es waren innigliche Stunden, in denen alle in Liebe verbunden waren. Manchmal kann es auch Entlastung sein und die Möglichkeit für neue Erfahrungen schaffen, Rituale über Bord zu werfen und sich einfach um den Gast herumzusetzen und Weihnachtslieder zu singen. Und sich von den Anhängseln verabschiedet, von denen man glaubt, dass sie sein müssen.

LvH: Die Advents- und Weihnachtszeit im Hospiz kann auch die Möglichkeit geben, gemeinsam ein Ritual für die Zukunft zu schaffen. In denen unser Gast auch nach seinem Tod einen Platz innehat, mit dem die Angehörigen ihm oder ihr gedenken. Man kann an der Festtafel für den, der fehlt, mitdecken. Oder alljährlich eine Geschichte vorlesen, die er oder sie sehr geliebt hat. Das zu besprechen kann für die, die bleiben und für den, der geht, sehr tröstend sein.

BB: Ja, wir lesen „Bergkristall“ von Adalbert Stifter, die Geschichte hat mein Vater oft vorgelesen.

LvH: Und mein Vater hat in der dunklen Jahreszeit jeden Abend im Garten Kerzen angezündet. Das machen nun wir.

BO: Und bei uns brennt ein Herrnhuter Stern, der ist für meinen Vater. Wenn ich den sehe, habe ich das Gefühl, mit ihm verbunden zu sein. Mein Vater hat immer „Stille Nacht, heilige Nacht“ am Klavier gespielt und wir durften dann in die Weihnachtsstube. Wenn ich dieses Lied höre, kullern die Tränen. Und auch das ist wichtig und Selbstfürsorge. Der Trauer Platz zu geben. Es muss nicht immer alles nur fröhlich sein.

BB: Was bedeutet sie Ihnen, die Zeit im Hospiz?

BO: Bei uns im Hospiz feiern wir intensiver. Draußen in der Welt sind die Feiertage oft sehr äußerlich: im Kaufen, Überbieten, Zeigen. Hier drinnen ist alles auf das Wesentliche konzentriert. Es braucht keiner mehr Geschenke. Geschenkt wird das Wesentliche, nämlich Zeit. Wie Roswitha Bloch sagt:

Wenn uns bewusst wird, dass die Zeit, die wir uns für einen anderen Menschen nehmen, das Kostbarste ist, was wir schenken können, haben wir den Sinn der Weihnacht verstanden.
Roswitha Bloch

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