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Auf Reisen mit unbekanntem Ziel begleiten: Ein gemeinsamer Weg

Unser Blog: Bettina Orlando und Gesine Pannhausen im Gespräch

Birga Berndsen, die sonst an dieser Stelle die Gespräche mit Bettina Orlando führt, ist am 1. Februar auf eine Reise aufgebrochen: mit Mann und Sohn, im ausgebauten Camper. Ziel: einmal um die – zumindest halbe – Welt. Man könnte auch sagen: Der Weg ist das Ziel. Birga Berndsen lässt herzlich grüßen und hat mich, Gesine Pannhausen, als Vertretung engagiert.

Für die Zeit ihrer Reise führen Frau Orlando und ich die Gesprächsreihe weiter.

Gesine Pannhausen: Liebe Frau Orlando, ich freue mich sehr, dass wir heute die Segel setzen für unseren Auftakt in dieser Blog-Reihe.

Beim Stichwort „Reise“ haben wir ja alle meist viele schön besetzte Gedanken und Erinnerungen.

Bettina Orlando: Das Thema passt einfach so gut zu uns. Zu uns als Menschen, aber auch zu uns in unserer Hospizarbeit. Wir alle werden geboren, und wir alle werden irgendwann sterben. Der Beginn des Lebens und die Endlichkeit sind allen Menschen gemeinsam. Der Weg dazwischen, die Reiseroute, die wir durch das Leben nehmen, ist sehr individuell, und wir wissen nicht immer, wohin es als nächstes geht. So ist für unsere Gäste auch dieser letzte Weg hin zu einem noch nicht greifbaren und vielleicht schwer vorstellbaren Ort noch verbunden mit Hoffnungen, Sehnsüchten und Wünschen, aber auch mit Sorgen und Ängsten.

GP: Die Reisemetapher taucht oft auf, wenn es ums Abschiednehmen und das Sterben geht. Was dürfen Sie in diesen Momenten miterleben?

BO: Ganz oft sprechen die Menschen kurz vor ihrem Tod zum Beispiel vom Kofferpacken. Einige fragen: „Wo sind meine Schuhe?“ Viele bitten darum, dass die Fenster geöffnet werden oder häufiger auch die Türen. Sie sprechen deutlich aus: „Ich will nach Hause!“ Damit meinen sie ihr letztes Zuhause, aber manchmal auch das Zuhause ihrer Kindheit, ein Ort, der für Geborgenheit und Aufgehobensein steht. Es schließt sich ein Kreis. Viele Angehörige geben einen vertrauten Gegenstand mit als „Reisebegleiter“: Ob einen Talisman, ein Kuscheltier, Brief oder Bild – das ist so unterschiedlich, wie die Menschen und ihre Leben selbst. Eine Erinnerung an das Leben und ein Trost für die letzte Reise. Oft hört man von Angehörigen oder auch den Gästen selber die Sätze „ Wir sehen uns bald wieder“, „bis wir uns wiedersehen“, „ich reise schon mal vor“. Diese Sätze bergen Hoffnung und Trost, dass die Verbindung zu unseren Lieben auch nach dem Tod nicht abbricht.

Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.
Aristoteles

GP: Wie können die Kolleginnen und Kollegen aus Ihrem Team Ihre Gäste auf dieser Reise am besten begleiten? Was können sie für sie tun?

BO: Unsere Gäste wissen ganz intuitiv, „ich muss wohin“, das Leben verlassen. Sich dabei geborgen und sicher zu fühlen, das hilft ihnen und dabei können wir helfen.
Schließlich geht es um das Gefühl, das dahintersteht. Sagen zu können: Es ist alles ok, es ist für alles gesorgt – das gibt den „Reisenden“ Halt und Kraft, sich einlassen und loslassen zu können, wenn es soweit ist.

Menschen am Lebensende haben eine ganz eigene Klarheit. Da, wo wir linear und kausal denken und handeln, erleben wir bei unseren Gästen eine andere als unsere alltägliche Wahrnehmung. Sie bewegen sich in einer „Zwischenwelt“, die sich vielleicht mit dem Zustand zwischen Wachen und Schlafen vergleichen lässt. Die Träume, Gedanken und Visionen, die wir in diesem Zustand haben, folgen auch einer ganz eigenen Logik. Natürlich gibt es auch den plötzlichen Tod, etwa durch einen Unfall. Doch meist sind die Menschen noch einen Zeitraum da, in dem wir deutlich spüren können, dass sie sich nach und nach von dieser Welt verabschieden.
Wir nehmen es wahr und sind einfach da. Wir begleiten und gehen, so gut wir können und es erfühlen, auf das ein, was gesagt, was gewünscht, was gemacht wird.

GP: Was passiert auf dieser Reise in die noch unbekannte Welt? Was wissen die begleitenden Expertinnen und Experten inzwischen darüber?

BO: Es ist ein Ablösen von der materiellen Welt. Der Geist ist zwar bis zum Schluss da, aber er folgt anderen Gesetzen. Die Körperlichkeit zieht sich immer mehr zurück. Das Gehör, wissen wir inzwischen, ist der letzte Sinn, der schwindet. Das Interesse an äußeren Umständen und Kausalitäten verändert sich.
Schön finde ich die Beschreibung „Pendeln zwischen den Welten“. Pendeln kann ja begriffen werden als ein Austarieren, ein Hier und Dort-Sein, manchmal kann es auch noch eine gewisse Unentschlossenheit beschreiben, ein Reisen ohne Grenzen. Alles ist möglich.

An dieser Stelle kommt auch das Thema Kommunikation mit ins Spiel: Je mehr es auf die andere Seite des Lebens geht, desto weniger kommunizieren unsere Gäste durch Sprache mit uns oder ihren Angehörigen, sind mehr bei sich.

GP: Wie erleben die Angehörigen ihre Lieben, die sich auf den Weg machen? Was beobachten Sie bei den Familien? Und: Gibt es etwas, was Sie den Angehörigen gerne raten würden?

BO: Auch den Angehörigen versuchen wir mit größtmöglichem Respekt und einer wertschätzenden Haltung zu begegnen. Hilfreich ist es, wenn alle einbezogenen Personen authentisch sind und dem, was passiert, den nötigen Raum geben. Somit werden Möglichkeiten eröffnet. Wenn noch etwas gesagt werden will, braucht es Zeit und Raum. Wir können die Familien in ihrem Handeln validieren, also bestärken, da zu sein und da zu bleiben. Zuzuhören und wahrzunehmen, ohne das Gesagte zu bewerten. „Holding space“ – den Raum, den es braucht, geben und halten, das beschreibt es ganz gut.

Manchmal ist es auch nicht einfach, etwa, wenn es darum geht, gemeinsam Stille auszuhalten oder schwere Momente, in denen es dem „Reisenden“ nicht so gut geht.

Es liegt in unserer Natur, dass wir die Stille mit Worten oder Aktionen füllen wollen, aber am Lebensende ändert sich dieses Bedürfnis, es braucht Ruhe, den Weg aus dem Leben zu finden.

Wir bestärken im „einfühlenden Zuhören“, sein lassen, begleiten und erlauben. Ein großes Geschenk, das wir uns alle im Miteinander machen können – und ein umso größeres, das wir den Sterbenden mitgeben können und dass uns selber Trost und Halt geben kann, weil alles so war, wie es sein sollte.

GP: Liebe Frau Orlando, das ist ein schönes Schlusswort. Vielen Dank für das Gespräch. Für all die vielen miterlebten Reisen voller Leben wünsche ich Ihnen, dem Team und den Gästen stets diese gute Energie in den Segeln!

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