11. März 2025

Zeit und Raum für individuelle Trauer: Unser Trauercafé

Wenn Angehörige oder eine nahestehende Person gestorben sind, entsteht bei den Hinterbliebenen nicht selten ein Gefühl des Alleinseins. Dass es vielen so geht und man eigentlich somit ja nicht alleine bleiben müsste, ist in diesen Momenten vielleicht nicht so bewusst. Aus diesem Grund laden unsere Pflegedienstleiterin Stefanie Voigt und unsere Seelsorgerin Ute Schöttler seit vielen Jahren in unser Hospiz zum Trauercafé ein. Als dritte im Bunde kommt jetzt Psychologin Juliane Neumaier dazu. Ein weiteres Novum ist, dass das Angebot ab April jeden letzten Mittwoch im Monat stattfindet.

Wer kann dorthin kommen? 

Stefanie: „Das Trauer-Café steht all denjenigen offen, die Gäste bei uns im Hospiz begleitet haben.“

Wie sieht so ein Nachmittag aus? 

„Eingeladen wird zu einer Kaffeetafel in unserem schönen Herzsaal, meistens unterstützt durch eine Ehrenamtliche. Im Gespräch tauschen sich die Angehörigen über die Zeit im Hospiz aus. Sie versuchen gemeinsam, das in dieser Zeit Erlebte zu verarbeiten und sich an die neue Lebenssituation zu gewöhnen.“

Ute ergänzt: „Im zweiten Teil des Nachmittags schließt sich ein Ritual an: Die Angehörigen werden eingeladen, eine Kerze anzuzünden und den Namen der Verstorbenen zu nennen. Es bleibt Zeit, den Gedanken nachzugehen. Das Licht hilft, der Verstorbenen in Ruhe zu gedenken. Es ist gänzlich ohne Zwang, manche möchten auch nur still sitzen und zusehen. Die Seelsorgerin gibt tröstende Worte mit auf den Weg. Das gemeinsam gesprochene Vaterunser ist ein weiteres tröstliches Angebot.“

Stefanie: „Ute spricht persönliche Worte zu jedem Menschen, der bei uns gestorben ist, die sie mit vorbereiteten Texten verknüpft. Vieles dafür erfährt sie erst kurz vorher in den persönlichen Gesprächen mit den Hinterbliebenen. Die Kunst ist, sich einzudenken und einzufühlen.“

Juliane: Das Trauercafé ist ein offener Raum, in dem Gefühle zur Sprache kommen dürfen. Jede und jeder kann frei erzählen, wie es ihm oder ihr gerade geht, was gewünscht wird. Als unterstützendes Ritual gibt es die Möglichkeit, so genannte „Emotionskarten“ miteinzubeziehen. Auf den Karten sind zum Beispiel Fotos aus der Natur, die helfen können, über die eigenen Gefühle zu sprechen.

Welche Wirkung kann dieses Ritual haben?

Stefanie: „Es ist schön zu beobachten, dass die Trauer in dieser Gemeinschaft aufgefangen werden kann. Viele umarmen und trösten sich gegenseitig.“

Ute: „Seelsorgerisch gehört alles zusammen. Als Bild gesprochen: Die Gespräche sind eine gute Basis für einen Teppich, der im Ritual weitergewirkt wird. Es kommen Trauernde und Betroffene zusammen, die sich in sehr unterschiedlichen Trauerphasen und Situationen befinden.“  

Juliane: „Wichtig ist, von den Menschen selbst zu erfahren, auf welche Weise sie trauern. Wir versuchen zu erfühlen, wie es ihnen geht, was ihnen geholfen hat und ob sie etwas anregen möchten.“

Was denkt Ihr, was macht dieser Nachmittag mit den Menschen? 

Ute: „Wir haben den Eindruck, dass sie sich gegenseitig stützen.“

Stefanie: „Zunächst ist es für die meisten eine Riesen-Schwelle, überhaupt noch einmal hierher zu kommen an den Ort, an dem ihre Liebsten verstorben sind. Viele trauen sich erst einmal nicht. Umso beeindruckender ist es auch für uns, jedes Mal von Neuem mitzuerleben, wie entspannt die Menschen in der Gemeinschaft und in der Runde des sich gegenseitigen Verstehens sind.“

Wann beginnt eigentlich Trauer? 

Stefanie: „Auch für die Sterbenden selbst ist Trauer ein elementares Thema, das angesprochen werden sollte. Denn die Trauer fängt meist schon mit der Diagnose an. Die Menschen, die zu uns kommen, haben bereits viel Trauer durchlebt.“

Ute: „Der Schritt, ins Hospiz zu gehen, fällt machen Menschen schwer und ist mit Angst besetzt, denn von nun an beginnt die palliative Begleitung und die kurative Medizin endet. Spätestens jetzt beginnt für unsere Gäste und für die Angehörigen der Trauerprozess.“

Juliane: „Aus diesem Grund steht das Trauercafé auch den Menschen offen, deren An- und Zugehörige bei uns eingezogen sind und noch leben. Der aktive Umgang mit der Trauer eröffnet vielen eine neue, hilfreiche Dimension.“

Gibt es Menschen, die mehrfach zum Trauercafé kommen? 

Juliane: „Unbedingt. Das war auch ein Initial, aus dem heraus wir entschieden haben, das Trauercafé nun in einem festen Turnus und häufiger stattfinden zu lassen und es zu öffnen für alle, die gerne auch noch ein weiteres Mal hierher kommen möchten.“

Ute: „In der Zeit der Trauer verändert sich die Wahrnehmung der Angehörigen: Zunächst brauchen sie Abstand zum Hospiz. Später kommen sie dann sehr gerne wieder in die vertraute Umgebung mit dem Gefühl der Dankbarkeit für die Pflege ihrer Angehörigen.“

Ute: „Trauer hat viele Gesichter.“

„Je schöner und voller die Erinnerung, desto schwerer ist die Trennung. Aber die Dankbarkeit verwandelt die Erinnerung in eine stille Freude. Man trägt das vergangene Schöne nicht wie einen Stachel, sondern wie ein kostbares Geschenk in sich.“
Dietrich Bonhoeffer

An welche Situation erinnert Ihr Euch besonders? 

Ute: „...an einen Sohn, der nicht hier sein konnte, als sein Vater starb. Im Trauercafé konnte er dann Abschied nehmen, so, wie er es sich gewünscht hatte. Für ihn schien das ein wichtiger Baustein zu sein.“

Stefanie fügt hinzu: „Er kam dann noch einmal wieder und brachte selbst gebackenes Brot mit. Eine Geste, über die wir uns sehr gefreut haben.“

Juliane: „...die zwölfjährige Tochter eines Gastes besuchte ihren Vater täglich nach der Schule. Als er gestorben war, kam sie eine Weile weiter regelmäßig zu uns und führte Therapiehund Casper aus.“

Was ist Euch sehr wichtig? 

Ute: „Unterstützende Trauerarbeit bedeutet stets auch, tröstliche Worte, das Hoffnungsvolle mit auf den Weg zu geben.“

Stefanie: „Es ist eine Möglichkeit, Barrieren zu überwinden, vor allem auch die Scham. Trauer ist sehr individuell. Was aber vielen gemein ist, ist der Gedanke ‚darüber spricht man nicht’. Den versuchen wir aufzulösen.“

Juliane: „Auch das geschieht natürlich auf sehr unterschiedliche Weise: Manchmal schnell, manchmal spiralförmig, in Wellenbewegungen oder wie eine Schneise im dichten Wald, die zur Lichtung wird, auf der man lernt, mit der Lücke zu leben.“

„Wichtig ist“, und da sind sich alle drei einig: „Hier darf jede und jeder so sein wie sie oder er ist!“

Vielen Dank für das Gespräch!

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